Nachgefragt: Architekturschutz: Ein Meilenstein
«Das Urteil dürfte ein Meilenstein an der Schnittstelle Architektur und Recht sein.»
Rückblende
Ich stehe auf einer grünen Wiese in Schwerzenbach im Kanton Zürich. Meine Begleitung aus Paris ist bestürzt, dass hier nicht mehr ist, was da sein müsste: das Atriumhaus von Max Ziegler, dem bekannten Architekten und Urheber des HIL-Gebäudes des Departements Architektur auf dem Hönggerberg. Grund des Ausflugs ist ein Artikel für eine Zeitschrift über die Entstellung und die Zerstörung von architektonischen Werken. Im Rahmen dieses Artikels kommt der ETHProfessor und Leiter des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur, Laurent Stadler, zu Wort und hält fest: «Bei der Inventarisierung geht es darum, dass die Öffentlichkeit ein Bauwerk als Teil des Kulturguts betrachtet. Wenn Vertreter einer Gemeinde dies ignorieren, dann erfüllen sie nicht die ihnen von der Öffentlichkeit anvertraute Aufgabe.»
Der Bummel führt uns schliesslich zum Haus Schader, das Architekt Jacques Schader für seine Familie geplant und gebaut hat. Die neuen Eigentümer, die das Haus im Originalzustand erhielten, planen zu dieser Zeit eine Aufstockung, die von der kantonalen Denkmalpflegekommission als unzulässig erachtet wird: Sie plädiert für eine hohe Schutzwürdigkeit des Werks als Ganzes. Bruno Maurer, Leiter des Archivs des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur an der ETH, äussert sich im Rahmen meines Artikels klipp und klar: Eine Trennung zwischen innerer und äusserer Schutzwürdigkeit sei absurd, Motive und Materialien innen und aussen seien sorgfältig aufeinander abgestimmt. Aber gerade eine solche Trennung befürwortet das Baurekursgericht des Kantons Zürich, ohne die Hauptfrage zu beantworten, ob die geplante Aufstockung das äussere Erscheinungsbild beeinträchtige. Die Einsatzfreude der nächsten Instanz, des Verwaltungsgerichts, sich mit der Frage eingehend zu beschäftigen, hält sich in Grenzen: Es erachtet das Gebäudeäussere in mittlerem Umfang als schutzwürdig, die geplante Aufstockung als genügend rücksichtsvoll für das Schutzobjekt und den Eingriff in dessen Erscheinungsbild als geringfügig. Von den triftigen Gründen, nach welchen ein Gericht von einem Gutachten der kantonalen Denkmalpflegekommission abweichen darf, ist keine Spur im Entscheid zu finden. Bruno Maurer führt in diesem Zusammenhang aus, dass die Anerkennung der kompetenten Arbeit der Spezialisten einen Tiefpunkt erreicht habe.
Auf dem Hönggerberg, wo das Institut für Geschichte und Theorie der Architektur seinen Sitz hat, ist wohl niemandem danach, die Korken knallen zu lassen, ausser um die Angelegenheit zu vergessen. Dass aber nicht alle Beamten und Richter den Wert architektonischer Werke verkennen, zeigt das folgende Beispiel «Langnau am Albis».
Burkhalter Sumi
Etwa zwei Jahre sind seit dem Ausflug nach Schwerzenbach vergangen. In einem Zug sortiere ich meine E-Mails, dabei öffne ich den Link zu einem Portal und werde von einem mir bekannten Bild überrascht: Einfamilienhaus mit Atelier in Langnau am Albis, von Burkhalter Sumi mit vorfabrizierten Holzteilen gebaut. Gekrümmt verlaufende Aussenwände, keilförmige Integration zwischen den beiden angrenzenden Strassen, mit gleichzeitiger Widersetzung einer reinen Anpassung an die Baulinien. Es ist ein harmonisches Ganzes, bedingt durch eine zwischen den beiden Hausteilen verlaufende Schrankwand als wesentliches Element der inneren Struktur, die konstruktiv als Auflage des Daches wirkt. Dabei werden sogar die Aussentreppen gekonnt inszeniert. Das architektonische Meisterwerk ist 35 Jahre alt und bereits seit über 30 Jahren im kommunalen Inventar der Schutzobjekte von Langnau am Albis aufgeführt. Burkhalter Sumi sind ein bekanntes Architekten-und Professorenpaar, das sich insbesondere durch den innovativen Einsatz von Holzkonstruktionen und den Umgang mit Farben auszeichnet. Ihr Portfolio umfasst zahlreiche realisierte Werke, die ein breites Spektrum abdecken, das vom kleinen Haus bis zur riesigen Überbauung reicht.
Oft ist es leider so, dass Leute ihr Besitztum nicht schätzen und ihm keinen Respekt zollen. Manchmal von der Rendite geblendet, vergessen sie, dass (architektonische) Kunstwerke ihren Preis haben. Es entzieht sich der Kenntnis des Autors, welche Überlegungen die Besitzer des Werks in Langnau am Albis dazu geführt haben oder «welcher Teufel sie geritten hat», einen Abbruch anzustreben. Begründet haben sie das vor Gericht mit dem Hinweis auf eine notwendige energetische Sanierung, die hohe Kosten verursacht. Tatsache ist, dass die Denkmalpflegekommission des Kantons Zürich zum Einsatz kommt und feststellt, dass es sich bei dem Haus mit Atelier um ein Schutzobjekt mit überkommunaler Bedeutung handelt, sowohl im Inneren als auch im Äusseren. Das Objekt ist als wertvoller, authentisch erhaltener Bauzeuge der Architektur der 1980er-Jahre qualifiziert, insbesondere bezüglich Holzbauweise, Holzverkleidung und der einfachen mit raffinierten Details angereicherten architektonischen Ausdrucksweise.
Gebäudeäusseres und Gebäudeinneres samt Umgebung werden von der Baudirektion des Kantons Zürich tatsächlich unter Schutz gestellt, was im Übrigen einen zusätzlichen Neubau auf der Parzelle nicht verhindert. Daran vermag die Ausschöpfung aller Gerichtsinstanzen durch die Eigentümer nichts zu ändern: Auch das Bundesgericht als letzte Instanz kommt zu dem Schluss, dass das Werk als wichtiger Zeuge einer baukünstlerischen Epoche erhaltenswürdig im Sinne des zürcherischen Planungs-und Baugesetzes (PBG) ist. Nach dem Bundesgericht ist die Unterschutzstellung geeignet, erforderlich und dem Eigentümer zumutbar. Das ist durch das im öffentlichen Interesse liegende Ziel gerechtfertigt. Den Sanierungsbedarf stufen die Richter zwar als erheblich ein, aber nicht als aussergewöhnlich. Das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Gebäudes ist aufgrund seines Seltenheitswerts gewichtiger als das private Interesse der Eigentümer, die Verhältnismässigkeit ist gewahrt. Aus Sicht der höchsten richterlichen Instanz sind Burkhalter Sumi mit ihrem Werk der späteren Achtzigerjahre Pioniere in der architektonischen Entwicklung.
Schlusswort
Das Bundesgericht hat ein wichtiges Zeichen gesetzt, und das Urteil dürfte ein Meilenstein an der Schnittstelle Architektur und Recht sein. Es bleibt zu hoffen, dass das Haus auch faktisch geschützt wird und nicht als Trotzreaktion verlottert. Der Autor bleibt optimistisch, schliesslich liegt das Werk nicht in Schwerzenbach, sondern in Langnau am Albis.