«Oper ist Entschleunigung»

Andreas Homoki ist Intendant und Regisseur am Opernhaus Zürich. Im Interview spricht er über die Rolle der Oper in der heutigen Gesellschaft, neue Projekte, seine Inspiration und warum er zu Hause keine Musik hört.

«Oper ist Entschleunigung»
Andreas Homoki
Interview Donika Gjeloshi | Foto Florian Kalotay
Andreas Homoki ist Intendant und Regisseur am Opernhaus Zürich. Im Interview spricht er über die Rolle der Oper in der heutigen Gesellschaft, neue Projekte, seine Inspiration und warum er zu Hause keine Musik hört.
Andreas Homoki, welche Rolle spielt die Oper in unserer Gesellschaft angesichts des vielfältigen Unterhaltungsangebots und der Möglichkeit, dieses fast immer und überall konsumieren zu können?
Die Oper ist komplementär zu dieser Entwicklung. Sie ist eine performative Kunstform, die man vor Ort live erleben muss, und es gibt nur einen begrenzten Zugang je Vorstellung. Das ist das Besondere, denn die Oper geschieht ausschliesslich für diese Menschen im Saal in genau diesem Moment. Überspitzt gesagt ist die Oper etwas Unzeitgemässes, da so viele Menschen dafür arbeiten. Darin liegt ein besonderer Wert, gerade heute. Das mag auf den ersten Blick teuer erscheinen, aber ohne diesen Aufwand würde die Oper als Kunstform nicht existieren können. Sie richtet sich an Menschen, die dieses Unzeitgemässe oder «Entschleunigte» suchen. Im Opernhaus Zürich sind es pro Jahr immerhin 250 000 Zuschauer, und der Saal ist bei jeder Vorstellung gut gefüllt.Hat sich die Oper verändert?
Die Rolle der Oper hat sich über Jahrhunderte hinweg ständig gewandelt. Von einer experimentellen Form in renaissance-höfischer Situation zu einer grossen repräsentativen Kunstform während des Absolutismus bis ins 19. Jahrhundert hinein zu einer Form, die revolutionäre Gedanken transportiert. Die Oper befindet sich immer noch in einem Spannungsfeld zwischen der Ausrichtung nach grossen repräsentativen Zwecken – weil sie opulent ist, weil sie festlich ist, weil sie gross ist – und künstlerischen Bestrebungen, die die Oper zu ihrem Ursprung zurückbringen. Bei den grossen Stoffen geht es immer um unterschiedliche Weltanschauungen, die erzählt werden wollen. Es sollte immer zuerst um die inhaltliche Vermittlung gehen, danach darf die Oper auch repräsentativ sein. Ich glaube, das ist ein andauernder Prozess. Natürlich ist die Oper nicht mehr das modernste Medium, wie sie es im 19. Jahrhundert noch war. So ist letztlich die gesellschaftliche Wirkung, was die Masse angeht, natürlich nicht die gleiche wie bei einer Fernsehshow. Die Oper hat sich verändert und verändert sich weiter.

Seit 2012 sind Sie Intendant des Opernhauses Zürich. Ihr Motto lautete «Öffnung», Öffnung auch für ein breiteres Publikum. Hat sich das Publikum seither tatsächlich verändert? Würden Sie das Ziel als erreicht betrachten?
Menschen, die diese Entwicklung beobachten, sagen Ja. Inwieweit das repräsentativ ist,kann ich nicht beurteilen. Eine Veränderung scheint stattgefunden zu haben, hin zu einem jüngeren Publikum. Was aber nicht heissen soll, dass ältere Menschen nicht erwünscht sind. Wir wollen alle Generationen in der Oper haben, es sind alle willkommen.

Wie kam es dazu, das Sie Opern inszenieren und nicht Theaterstücke oder Musicals?
Ich bin ursprünglich Musiker, habe mich aber immer für Geschichten und auch für Filme interessiert. Durch mein Musikstudium und über meine Lust am Theaterspielen habe ich gemerkt, dass ich das zusammenbringen könnte. So wurde mein Interesse für die Regiearbeit geweckt. Wenn ich Musik höre, dann löst das etwas in mir aus. Es macht mir Spass, mir zu einer bestimmten Musik eine Situation oder eine Geschichte auszudenken, mich in Figuren hineinzuversetzen. Wenn ich nur Schauspiel machen würde, würde mir etwas fehlen.

Warum klassische Musik?
Wenn man im Musiktheater inszenieren möchte, kommt man an der Oper nicht vorbei. Ich habe mich auch sehr für Musicals interessiert, als ich anfing, mich mit Regie zu beschäftigen. Aber Musicals sind nicht der Hauptanteil des Marktes. Ein Musical ist meistens – zumindest hat sich das in den letzten zwanzig Jahren so entwickelt – eine Produktion, die einmal inszeniert und dann überall auf der Welt genau gleich reproduziert wird. Das Betätigungsfeld für Regisseure von Musicals ist entsprechend klein. Ich habe auch schon ein Musical inszeniert: «My Fair Lady» an der Komischen Oper in Berlin, das hat mir grossen Spass gemacht. Nächste Spielzeit werde ich zum ersten Mal hier im Opernhaus Zürich ein Musical inszenieren. Ich würde so etwas gerne noch öfter machen.

Können Sie uns zu diesem bevorstehenden Musical mehr verraten?
Das bleibt ein Geheimnis bis zur Bekanntgabe der neuen Spielzeit.

Welches Instrument haben Sie als Musiker gespielt?
Ich habe Klavier gespielt. Das war in meinen Teenager-Zeiten ein Ventil für meine kreative Betätigung oder ein emotionales Ausleben von Dingen. Ich war zwischenzeitlich auch durchaus fleissig, hatte aber erst mit elf Jahren, viel zu spät, angefangen. Jedenfalls war ich nicht gut genug, als dass ich mein Geld als Konzertpianist oder Dirigent hätte verdienen können. Das Klavier war aber letztlich die Voraussetzung, um in ein professionelles Musikstudium einsteigen zu können. In dem Moment, als sich die Theaterwelt für mich geöffnet hatte, brauchte ich das Klavierspielen nicht mehr, und es fehlt mir bis heute nicht.

Wann hat eine Oper Sie zum ersten Mal berührt?
Die erste Oper, die ich gesehen habe, war «Carmen». Ich war vier oder fünf Jahre alt und habe die Handlung noch nicht verstanden. Aber was mich schon damals beeindruckt hat, war, was da energetisch abgeht, wenn zum Beispiel das Orchester oder der Chor loslegt. Später hatte ich eine Distanzierungsphase, in welcher ich gemerkt habe, dass mir die Oper nichts erzählt, wenn sie zu langweilig inszeniert ist und zu viel voraussetzt. Erst danach habe ich mich ganz neu und sehr bewusst mit der Oper auseinandergesetzt. Einerseits hat mich die Oper also sehr früh, andererseits sehr spät berührt.

Was ist die Quelle Ihrer Inspiration als Regisseur?
Ich lese das Stück durch und höre es mir an. Man spürt, wenn einen etwas interessiert und anzieht. Man weiss aber noch nicht genau, wie man das umsetzen will. Man macht sich also auf die Suche und fragt sich, was der Kerngedanke dieser Oper ist. Es ist auch ein gemeinsamer Prozess, meistens mit dem Bühnen- und dem Kostümbildner. Zusammen versuchen wir herauszufinden, was das Besondere an diesem Stück ist und warum es uns interessiert. Wir fragen uns auch, was uns nicht interessiert und was bei anderen Aufführungen bereits im Fokus stand, wir aber nicht im Fokus haben wollen. Es ist weniger eine Inspiration im Sinn einer Eingebung, sondern vielmehr ein Suchen und Ausschliessen.

Das Opernhaus ist prunkvoll. Heute sind die Inszenierungen oft modern, die schlichten Kostüme unterscheiden sich kaum noch von der Alltagskleidung. Ist die Oper puristisch geworden?
Das Opernhaus ist um 1900 gebaut worden, da hat man sich auch zu Hause anders eingerichtet. Die Ausstattung einer Inszenierung ist immer stückbedingt. Aber eine historische Handlung muss nicht zwangsläufig auch historisch kostümiert werden. Manchmal  möchten wir einen Stoff zeitlich näher an uns heranholen, weil eine Geschichte heute genauso  passieren könnte und uns in aktualisierterer Form möglicherweise stärker berührt. Das führt dazu, dass die Kostüme zeitgemässer aussehen. Ein gutes Kostümbild wird sich aber immer von Alltagskleidung unterscheiden. Alles sollte genau aufeinander abgestimmt sein. Im Zusammenwirken mit der Bühne und dem Licht schaffen wir immer eine Welt, die ganz und gar künstlich ist.

Wie prunkvoll oder puristisch ist Ihr Zuhause?
Wir wohnen in einem gemieteten Haus. Es ist ein zweigeschossiger Bungalow im Chic der 60er-Jahre. Die Einrichtung ist modern mit viel bildender Kunst.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten ein Haus zu bauen …
… hätte es eine Terrasse und grosse Fenster, damit viel Licht ins Haus kommt und man den Ausblick geniessen kann. Die Räume wären offen konzipiert und höher als gewohnt. Mein Traumhaus wäre in einem Garten, eher am Stadtrand. Wenn man, wie ich in meinem Beruf, in einer Stadt oft im Fokus steht, ist man froh, wenn man nach der Arbeit etwas Abstand kriegt. Um die Ecke zu wohnen wäre mir zu nah.

Welche Musik hören Sie zu Hause?
Eigentlich höre ich zu Hause sehr wenig Musik. Wenn man sich beruflich so intensiv mit Musik beschäftigt, hört man viel bewusster zu. Musik nebenbei zu hören wird da zu anstrengend. Als Teenager habe ich gerne eine Platte aufgelegt und nebenbei gelesen. Das geht heute nicht mehr. Wenn ich heute Musik höre, dann sehr bewusst. Ich höre mir dann gerne eine Sinfonie an, z.B. die neueste CD meines Chefdirigenten Fabio Luisi. Gerne auch die Beatles oder Rolling Stones oder Michael Jackson oder Miles Davis – Musik, die sich die meisten gerne anhören.

Im März 2018 ist die Premiere der Oper «Lunea», die Sie inszenieren werden. Können Sie uns dazu bereits etwas erzählen?
«Lunea» ist eine Uraufführung. Die Hauptfigur ist ein deutscher romantischer Dichter, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelebt hat, ein zerrissener, heimatloser Typ. Er ist verrückt geworden und im Irrenhaus gestorben. Der Schweizer Komponist Heinz Holliger interessierte sich schon immer für solche Aussenseiter. Er setzt sich damit auseinander, was dieses Verrückte ist: Ist nicht das Verrückte das Normale, und sind die Normalen nicht eher die Deformierten? Zusammen mit seinem Librettisten Händl Klaus hat Heinz Holliger ein Stück geschrieben, das über Rückblenden diskontinuierliche Episoden aus dem Leben der Hauptfigur beleuchtet. Ausgehend von dem Moment, in dem die Hauptfigur ins Irrenhaus eingeliefert wird, beschäftigt sich der Komponist mit dem geistigen Verfall des Dichters und zeigt in Rückblenden Erinnerungsfetzen von dessen verschiedenen Begegnungen. Heinz Holliger hat ein ganz stark verdichtetes Stück geschrieben, mit nur ganz wenigen Sängern und Sängerinnen, die jeweils mehrere Figuren darstellen. Teilweise singen alle gleichzeitig und überlagert, wahnsinnig kompliziert. Ich bin sehr gespannt und freue mich auf diese Herausforderung.

«Mein Traumhaus wäre in einem Garten eher am Stadtrand.»
Andreas Homoki
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