Alpenluft

In der Surselva haben Vater und Sohn ein altes Maiensäss durch einen modernen Neubau ersetzt, der auf traditionsreicher Architektur beruht.

Das neue Maiensäss befindet sich 1580 Meter über Meer und ist im Winter nur zu Fuss erreichbar. Die einstündige Wanderung ab Siat lohnt sich fraglos.

Eines Abends, als wir vor der neu erstellten Alphütte den Sonnenuntergang beobachteten, hörten wir die Älplerin den Alpsegen singen. Das hat mich zutiefst berührt – diese Verbundenheit mit der Natur und den Tieren», sagt der Bauherr Urs Rüegsegger. Er selbst kommt aus dem Kanton Zürich und hat sich mit diesem Maiensäss im Kanton Graubünden einen lang gehegten Wunsch erfüllt.

Viele Jahre haben er und seine Frau nach einem Ferienhaus gesucht. Vor drei Jahren haben sie schliesslich durch Zufall eine alte Alphütte mit Baujahr 1935 entdeckt, die im Internet ausgeschrieben war. Die Lage oberhalb der Bündner Bergdörfer Rueun und Siat auf 1580 Meter über Meer überzeugte das Ehepaar sofort. «Es war ein Glücksfall, dass dieses Angebot überhaupt bestand und wir das Grundstück bekommen haben», sagt Urs Rüegsegger. «Ich hätte die Alphütte gern nur umgebaut, aber sie befand sich in einem sehr schlechten Zustand, da sie vom Holzschwamm befallen war», führt er weiter aus. Der Pilz hatte das Holz derart angegriffen, dass man mit dem Daumen die Wand durchdrücken konnte. Überdies war das Dach stark betroffen. Deshalb musste der Altbau abgebrochen werden. Dieser Umstand erwies sich als glücklicher Zufall, denn nur deshalb durfte auf dem Grundstück, das sich in einer Landwirtschaftszone befindet, neu gebaut werden. Für den Bauherrn, der bis zur Pensionierung als Architekt gearbeitet hat, war klar, dass er in diesem Fall das Haus zusammen mit seinem Sohn, ebenfalls Architekt, planen und mit ortsansässigen Handwerkern, aber auch mit viel Eigenleistung errichten wollte.

Der Eingangsbereich ist einladend mit Sitzplatz eingerichtet. Die Festverglasungen zwischen den Holzbalken erlauben einen Blick in die warme Stube. An der Ecke sind die Details der Strickbauweise sichtbar.

 

Traditioneller Strickbau auf wasserdichter Betonfundation
Es war ihm dabei wichtig, mit der Architektur des neuen Maiensässes die Verbundenheit mit der Region zum Ausdruck zu bringen. «Es war für mich das erste Mal, ein Privathaus beziehungsweise eine Hütte zu bauen. Ich habe viel Zeit in den Entwurf investiert», sagt Urs ­Rüegsegger, der sich während seiner Karriere als Architekt dem Denkmalschutz gewidmet hat. Deshalb erstaunt es nicht, dass er dazu die traditionelle Bauweise der Region akkurat studierte. Der Fachmann hat verschiedene historische Pläne gesichtet. «Der einfache Strickbau hat in der Surselva Tradition. Die Walserhäuser sind typischerweise aus Fichtenholz aus den umliegenden Wäldern gebaut. Typisch, insbesondere für Alphütten in dieser Region, waren ganz einfache Grundrisse und wenig Dachvorsprung. Die Reduktion von Raum und Material auf das Allerwesentliche hatte zwei Gründe: die Erstellungskosten und den Arbeitsaufwand zu reduzieren», erklärt der Bauherr. Diese Aspekte liess er in seinen Entwurf einfliessen.

Kompakt, aber doch mit zwei Etagen: Im Obergeschoss gibt es zwei Betten, und die Galerie wird als Arbeitsplatz genutzt.

Das Haus besteht aus drei Materialien: Fichtenholz – bezogen aus dem gegenüberliegenden Nordhang, in Sichtweite des Bauplatzes –, schwarzes Stahlblech und Beton. Die Betonwände sind dabei sichtbarer Teil des sogenannten Weisse-Wanne-Systems, für das sich die Architekten entschieden haben. «Die Wannenlösung in Beton auf einer 40 cm hohen Schaumglasgranulat-Dämmung hat den Vorteil, dass sie den verschiedenen lokalen Anforderungen wie Hangwasser, Radongas und dem im Winter meterhohen Schnee bestehen kann», erklärt Urs Rüegsegger. Das Schaumglasgranulat ist sehr leicht und aufgrund der Form – vergleichbar mit Schotter oder grossen Kieselsteinen – wasserdurchlässig, sodass das Sickerwasser darunter gut durchfliessen kann. Die Bodenplatte und die Aussenwände sind homogen miteinander verbunden und bilden eine dichte Wanne aus einem Guss. Alle Leitungen sind innerhalb der Wanne geführt. «Dieses System verwendet man grundsätzlich, wenn nahe am Grundwasser gebaut wird», erklärt Urs Rüegsegger. Die erdberührten Betonwände sind mit 8 cm dicken Schaumglasplatten gedämmt, das Dach mit einer 12 cm dicken Holzfaserisolation. Nicht gedämmt sind jedoch die Aussenwände aus 12 × 20 cm grossen unbehandelten Fichtenholzflecklingen. Flecklinge sind Holzbalken, die im Schnitt eine rechteckige Fläche haben. Für die einfache Strickbauweise haben sie eine Profilierung: oben einen Kamm und unten eine Nut, sodass jeder Balken wie ein Legobaustein zusammengesteckt werden kann. Die Flecklinge sind an den Ecken zudem über Kreuz 12 cm tief zusammengesteckt. «Die Konstruktion ist erdbebensicher und hält ohne Nägel oder Klebstoffe. Sie ist ausserdem wasserdicht, wenn es regnet oder schneit», erklärt der Bauherr. Da die umliegenden Häuser eine dunkle, ja fast schwarze Fassade haben, kam die Frage auf, ob die Fassade des Neubaus mit einem Bunsenbrenner künstlich vorgealtert werden soll. Der Bauherr entschied sich dagegen, das Haus soll auf natürliche Weise altern und sich erst mit der Zeit den umliegenden Häusern angleichen.

 

Quellwasser, Sonnenenergie und von Segeljachten inspirierte Technik
Die Hütte verfügt über eine private Wasserquelle, sie wurde circa 300 Meter über dem Grundstück gefasst. Das frische Quellwasser fliesst zum Holzbrunnen und von dort in die neu errichtete Wasserzisterne, von der aus Wasser ins Haus gepumpt wird. Der Frischwassertank fasst 2000 Liter und befindet sich im Erdreich, damit das Wasser nicht gefriert. Das Abwasser lassen die Bewohner schliesslich vom Bauern abpumpen.

Die Hütte ist fast energieautark: Geheizt wird mit Holz, dank Cheminéeofen mit Speichersteinen. Eine Photovoltaik-Inselanlage mit Solargenerator versorgt die moderne Alphütte mit Strom. «Der Batteriespeicher ist immer aufgeladen, sodass wir jederzeit Strom aus der Steckdose beziehen können. Die Anlage ist sensationell, die Leistung ist bis jetzt nie unter die Hälfte gesunken», erklärt Urs Rüegsegger. Die Stromstärke ist allerdings nicht für die Benutzung eines Föhns, Staubsaugers oder regulären Kühlschranks ausgerichtet. Zum Kühlen der Lebensmittel kommt deshalb eine Kühlbox zum Einsatz. «Die Kühlbox verwendet man auch auf Segeljachten. Sie kommt mit 12/24 Volt und 280 Watt Strom aus, während ein herkömmlicher Kühlschrank doppelt so viel Stromspannung benötigt.» Nur zum Kochen und für das Heisswasser kommt Gasenergie zum Einsatz, wie beim Segelboot. Das Gas beziehen die Bewohner in Propangasflaschen extern. Ein gasgeführter Durchlauferhitzer heizt das Wasser direkt beim Aufdrehen der Armatur im Boiler auf und spendet so das nach Wunsch temperierte Warmwasser. Mit diesem System wird nicht mehr Wasser erhitzt, als gebraucht wird.

Die Hütte hat eine Solaranlage und eine eigene Wasserquelle. Der Brunnen liegt halb unter der Schnee-decke, gerade noch so, dass das Wasser fliessen kann.

 

Ausgeklügelte Raumnutzung undeinzigartige Details
Die Nutzfläche von lediglich 23 m² setzte eine ausgeklügelte Planung voraus. Die notwendige Baugrube und die Wannenlösung ermöglichten, einen Teil des Erdreichs als Wohnfläche zu nutzen und somit zwei Stockwerke im begrenzten Bauvolumen zu realisieren. Kompakt und multifunktional sollten deshalb die Räume und Möbel sein. Als passionierte Segler liessen sich Vater und Sohn somit bei der Küchenplanung von Bootsküchen inspirieren. Urs Rüegsegger entwarf einen Holzblock mit Schiebetüren und klappbaren Abdeckungen für die Kochfläche und plante an den Wänden viele Nischen als Ablagen ein. Das Bad beim Eingangsbereich ist klein und komplett aus Holz. Da die Wand hinterlüftet ist, trocknet der Raum nach dem Duschen schnell. Im Obergeschoss gibt es zwei Betten unter einer Dachschräge sowie eine Galerie, die als Arbeitsplatz dient.

Draussen fallen die balkenförmigen Festverglasungen auf. Sie lassen einen Blick in die Stube zu. Dieses gestalterische Element ist eine Reminiszenz an die traditionellen Alphütten, die Spalten zwischen den Holzbalken hatten, sodass die Luft zirkulieren konnte und das Heu trocknete. Mit dem Ergebnis ist die Bauherrschaft sehr zufrieden. Doch ganz fertiggestellt ist das Haus noch nicht. Urs Rüegsegger sucht nach einer geeigneten Lösung für das Treppengeländer, denn er gibt zu, dort habe er der Ästhetik mehr Gewicht als der Funktionalität im Alltag gegeben.

 

TECHNISCHE ANGABEN

[ ARCHITEKTUR ]
Urs Rüegsegger Architekt HTL Thalwil | Ausführungsplanung: Salvini Rüegsegger Architekten GmbH, sr-arch.ch

[ KONSTRUKTION ]
Einfacher Strickbau aus Fichtenholz auf Betonfundation | Satteldach aus Blech

[ Raumangebot ]
Bruttogeschossfläche: 23,4 m² | Anzahl Zimmer: 2

[ Ausbau ]
Wände und Decken: Fichtenholz | Boden: Fichtenholz, Beton | Treppe: Schwarzblech | Fenster: Fichtenholz, dreifache Isolierverglasung

[ Technik ]
Cheminéeofen | Photovoltaik | Frischwasser-Erdtank | Sammelgrube

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