Wohnen zwischen Wald und Wiese
Am steil abfallenden Hang über dem Lago Maggiore mit weitem Blick über das Verzascatal und Locarno steht dieses Einfamilienhaus, das sich sanft an die Topografie schmiegt. Emotionen spielten bei diesem Projekt die Hauptrolle.
Es ist eine schmale, kurvenreiche Strasse, die in das charmante Dorf Vira Gambarogno im Bezirk Locarno führt. Die Riviera del Gambarogno mit ihren charakteristischen Tessiner Dörfern liegt am linken Ufer des Lago Maggiore und führt bis an die italienische Grenze. Umso schöner ist der Ausblick über den See, den die Bauherrschaft dieses Einfamilienhauses täglich geniessen darf. Umgeben von Kräutergärten und wilden Pflanzen, steht das Haus auf der letzten Parzelle der Strasse und profitiert so von der Ruhe des Waldes direkt daneben.
Von wirren Bildern zum klaren Konzept
Eine kleine Einbuchtung an der Strasse bietet Platz, um Fahrzeuge abzustellen. Dann geht es zu Fuss zum länglichen Wohnkörper, der leicht erhöht darüber steht. Über eine naturbelassene Treppe, vorbei an einer Pergola gelangt man zum Eingang des Neubaus, der von der jungen Architektin Viola Valsesia geplant wurde. Dass es kein herkömmliches Einfamilienhaus werden würde, war von Beginn an klar. Viola Valsesia ist eine Künstlerin. Neben ihrer Tätigkeit als Architektin ist sie Bühnenbildnerin und lässt ihre Ideen in Theaterstücke einfliessen. Doch dieses Projekt in Vira Gambarogno lag ihr besonders am Herzen, denn die Bauherrin ist ihre Schwester, zu der sie ein enges Verhältnis hat. «Ich war nicht sofort begeistert, als meine Schwester mich fragte, ob ich ihr Zuhause planen möchte. Der Prozess, bis das Traumhaus steht, ist oft mit vielen Diskussionen, unterschiedlichen Meinungen, Stress, aber natürlich auch mit schönen Momenten verbunden. Ich hatte Angst, dass wir an der Situation scheitern. Gerade weil wir uns so nahestehen», erzählt Viola Valsesia. Doch letztlich entschied sie sich, die Reise mit ihrer Schwester und deren Ehemann zu machen.
Im Jahr 2016 begann die Planung für das Einfamilienhaus. Die erste Herausforderung, die gemeistert werden musste. «Bauherren haben oft viele Bilder im Kopf, die sie aus den sozialen Netzwerken oder aus Büchern und Heften haben. Dabei geht der Bezug zur Realität verloren. Oft sind es Projekte aus dem Ausland, die in der Schweiz so nicht umsetzbar sind. Zudem muss die einzelne Situation – in diesem Falle beispielsweise die einzigartige Topografie – berücksichtigt werden», erklärt die Architektin. Nicht immer sei jeder Wunsch umsetzbar. Die Planungszeit, die rund ein Jahr gedauert habe, sei deshalb eine intensive Findungsphase gewesen. «Mein erster Vorschlag wurde direkt verworfen. Erst beim zweiten Versuch waren sowohl meine Schwester, ihr Partner als auch ich einverstanden.» Die Wünsche der Bauherrschaft hatte man einbezogen, und die technische Umsetzung seitens der Architektin war gewährleistet.
Die Natur als erweiterter Wohnraum
Auf einer Magerwiese mit Obstbäumen ist ein länglicher Bau entstanden, der das Wohnen auf einer Etage ermöglicht. Die Lage erforderte – oder ermöglichte – eine spezielle Aufteilung der Räume. Der Hang ist vom Oberflächenwasser geprägt, und der lehmige Boden erschwert die Wasserversickerung. Deswegen wurden das unterirdische Volumen und die Kontaktfläche mit dem Terrain minimiert. Das ganze Wohngeschoss liegt im Trockenen oberhalb des fertigen Terrains. «Das Untergeschoss ist als nicht gedämmter Sichtbetonsockel ausformuliert», erklärt Viola Valsesia. Darin befinden sich die Kellerräume, der Technikraum und ein gemütliches Gästezimmer mit eigenem Bad. Die Räume sind von aussen erschlossen und öffnen sich auf den vorliegenden grosszügigen Laubengang, der Schatten spendet und Witterungsschutz bietet. Über eine Holztreppe im Freien gelangt man ins Obergeschoss. Die massiven Wände des auf dem Sockel liegenden Wohngeschosses sind mit Dämmsteinen aufgemauert. Hier befinden sich ein Eingang, der mitten in den wohnlich gestalteten Flur führt, zwei Bäder, zwei Schlafzimmer, das Wohnzimmer sowie die Küche mit angrenzendem Esszimmer. Der Wohnungsgrundriss gliedert sich entlang der Giebelwand in einen talseitigen und einen bergseitigen Bereich. Bergseitig befinden sich die privaten Räume, talseitig, als Enfilade angeordnet, die Diele, die Ankleide und das Büro. Die Laube und die Terrasse mit Blick auf den Lago Maggiore sowie ein intimer Garten hinter dem Haus bieten verschiedene Möglichkeiten, bei höheren Temperaturen im Freien zu arbeiten und zu wohnen. Die Nähe zur Natur war der Bauherrschaft wichtig und spielte bei der gesamten Planung eine zentrale Rolle. «Ein Haus im Minergie-Standard kam nicht infrage. An anderen Orten ist diese Bauweise sinnvoll, doch nicht hier, wo man am Morgen aufsteht, die Fenster aufmachen und einfach nur nach draussen gehen will», erklärt Viola Valsesia. Zudem sollte das gesamte Projekt hinsichtlich Ästhetik und Technik so einfach wie möglich gehalten werden. «Das Einfamilienhaus hat aber die optimale Wärmedämmung, sodass jede Jahreszeit genossen werden kann.»
Ein Hauch von Japan
Das Dach mit dem sichtbaren Holzträgerskelett und den massiven Holzdeckenelementen aus Fichte hat eine aussteifende Funktion und verbindet die darunterliegenden Mauerwerkwände. Die massive Holzdecke reguliert die Luftfeuchtigkeit und sorgt für ein angenehmes Raumklima. Die sichtbaren Holzträger strukturieren den Innenraum und dienen als Fenster-und Türstürze. Die Holzkonstruktion zieht sich von innen nach aussen, wo die Holzstruktur der Dachuntersicht auf den Laubengang aus unbehandeltem Lärchenholz trifft. Auch in das Interieur des Hauses wurde viel Zeit investiert. «Meine Schwester ist ein grosser Fan der japanischen Kultur. Zu dritt sind wir nach Japan gereist und haben uns dort inspirieren lassen», erzählt die Architektin. Der Einfluss Japans zeigt sich vor allem beim Bad, in dem ein japanischer Nassbereich entstand. «Die Badewanne hat Masse, die wir in der Schweiz nicht kennen», so Viola Valsesia. Fixe Einbaumöbel aus Birken-Multiplex ziehen sich durch die Küche, die Bäder mit den offenen Schränken, die Waschküche und die Büroecke und bieten so viel Stauraum. Sie wurden vom Schreiner des Vertrauens eigens für die Bauherrschaft gefertigt. Im Kontrast zum warmen Holz steht der Hartbetonbodenbelag, der vor allem im Sommer eine angenehm kühle Atmosphäre ins Haus bringt. Die Bauherrschaft hat mit diesem Einfamilienhaus ihre Wünsche nach einem bodenständigen, naturnahen Rückzugsort mit gewissem Komfort vereint. Die Pergola, der Kiesplatz unter der Holzlaube, die Terrasse und der Sitzplatz auf der hinteren Seite erweitern den Wohnraum und bieten zu jeder Tageszeit die passende Wohlfühloase. «Ein Zusammenspiel von Ästhetik, Gemütlichkeit und Geborgenheit», so Viola Valsesia.