Zwischen skandinavischem Charme und Weltkulturerbe

Grosse Glasscheiben an der Hausfassade geben den Blick auf Ermelunden frei, einen dichten Wald nahe der Stadt Kopenhagen. Kaum zu glauben, dass das schlichte skandinavische Heim Parallelen zum Opernhaus in Sydney aufweist.

Borge Mogensen, Hans J. Wegner und Poul Henningsen: Sowohl der Tisch als auch die Stühle und die Pendelleuchten im Esszimmer sind aus der Feder von Designern, die einst in der Siedlung gewohnt haben.
Borge Mogensen, Hans J. Wegner und Poul Henningsen: Sowohl der Tisch als auch die Stühle und die Pendelleuchten im Esszimmer sind aus der Feder von Designern, die einst in der Siedlung gewohnt haben.

Zurückgezogen und unaufdringlich steht das Einfamilienhaus «Ermelunden» in einer Einfamilienhaussiedlung nahe dem gleichnamigen Wald. Nur 13 Kilometer nördlich der dänischen Hauptstadt Kopenhagen befindet sich dieses Heim, das von der Erscheinung her weder einer Epoche noch einem Längen-oder Breitengrad zugeordnet werden kann. Das war das Hauptziel der Architekten. «Es ist ein zeitloses Haus, das schwierig einzuschätzen ist. Es könnte genauso gut aus den 1950er-Jahren stammen», sagt der dänische Architekt Jeppe Utzon, der gemeinsam mit Camille Pincemin, einer französischen Architektin, das Einfamilienhaus plante. Trotzdem spielten all diese Faktoren bei der Planung eine Rolle, denn das Haus steht an einer speziellen Lage. «Vor ungefähr 60 Jahren lebten hier bekannte Architekten und Designer wie Poul Henningsen und Hans J. Wegner Tür an Tür und prägten die Siedlung erheblich mit. Wegen ihres Einflusses auf den Ort gleichen Spaziergänge durch diese Strassen noch immer einer Zeitreise in die 1950er-und 1960er-Jahre», so Jeppe Utzon. Heute fügt sich das Projekt «Ermelunden» optimal in die Umgebung, in die Höhenlinien des abfallenden Grundstücks und in die Natur ein. Denn genau diese Faktoren sind es, die dem Projekt einen besonderen Charme verleihen und Geschichten erzählen. «Vorher stand hier ein altes Haus, in dem eine 92-jährige Dame lebte», erzählt der Architekt. «In ihren jungen Jahren war sie Skilehrerin. Später lehrte sie den Nachbarskindern auf dem kleinen Hügel, das zu ihrem Grundstück gehörte, mit Spiel und Spass das Skifahren.» Trotzdem entschieden sich die neuen Bauherren, das Haus abzureissen. «Es stand nicht optimal auf dem Grundstück und hatte zu wenig Fenster», erklärt Jeppe Utzon. Mit genauen Analysen wollte er herausfinden, wie die Vorteile der Lage genutzt werden können. Die Art und Weise, wie Jeppe Utzon den Standort untersucht, bevor er ein Haus baut, hat er von seinem Grossvater, dem Architekten des Opernhauses in Sydney, gelernt.

Ein Hauch von Australien in Dänemark

«Die wichtigste Lektion, die ich von meinem Grossvater Jorn Utzon gelernt habe, ist, mit dem Grundstück zu arbeiten. Ich studiere das Terrain, die Sonneneinstrahlung, die Nachbarn, die Aussicht, den Wind und das Klima, bevor ich ein Haus projektiere», erklärt der Architekt. Genau so habe es sein Grossvater in Australien getan, bevor er das Opernhaus gebaut habe und damit weltberühmt geworden sei. Dieses Handwerk hat Jeppe Utzon auch in Dänemark angewandt. «Wir verbrachten viele Tage damit, die Lichtkonditionen zu studieren. Wir erstellten 3-D-Zeichnungen und Modelle, um herauszufinden, wo Fenster und Türen am besten positioniert sind», erklärt der Architekt. Ziel war, ein Einfamilienhaus zu bauen, dessen Inneres eine direkte Verbindung zur Natur nach aussen erzeugt. Entstanden ist ein Gebäude in einer T-Form. Eine Glasscheibe erstreckt sich fast über die gesamte Nordfassade und gibt den Blick auf die üppige Pflanzenvielfalt auf dem Grundstück frei. «Das Haus ist umgeben von seltenen Pflanzenarten, welche die neuen Eigentümer der alten Frau, die vorher hier gewohnt hat, zu verdanken haben», erklärt Jeppe Utzon. Dunkle Fensterkonstruktionen rahmen die Landschaft optisch ein und lassen die Natur zu einer Dauerausstellung werden, die bequem vom Wohnzimmer aus bestaunt werden kann. Der Fokus lag auf einem einfachen, funktionalen und eleganten Design mit natürlichen Materialien und bedachten Details. Von aussen fügt sich das Haus optimal in die Umgebung ein. Rostfarbene handgemachte Ziegel zieren die Fassade und würdigen das alte Handwerk der gebrannten Ziegelmauerfliesen. Darunter befindet sich eine Stahlkonstruktion, die eine besondere Aufgabe hat: das Flachdach so zu tragen, dass der Anschein erweckt wird, es würde schweben. «Ich liebe es, mit Licht, verschiedenen Höhen, Tiefen, Volumen sowie mit geschlossenen und offenen Räumen zu spielen», so der Architekt. Diese Handschrift zeigt sich bei «Ermelunden», indem die Nordfassade offen und hoch gebaut ist, während der gegenüberliegende Teil tiefer und geschlossener ist, sodass Momente im Privaten genossen werden können.

Borge Mogensen, Hans J. Wegner und Poul Henningsen
Die offene Küche mit Kücheninsel gibt den Blick auf den Garten frei. Als Materialien wurden Eiche für die Holz­fronten und Marmor für die Arbeitsfläche gewählt.

An mehreren Orten im Haus wurden Nischen in der Wand eingerichtet. Sie laden zum Lesen und Entspannen ein.
An mehreren Orten im Haus wurden Nischen in der Wand eingerichtet. Sie laden zum Lesen und Entspannen ein.

Graue portugiesische Marmorplatten bahnen den Weg zur Haustür und finden sich im Innern des Hauses wieder. Eine Sitzbank aus Marmor zieht sich vom Aussen-in den Innenbereich und wird nur durch eine Glasscheibe getrennt.
Graue portugiesische Marmorplatten bahnen den Weg zur Haustür und finden sich im Innern des Hauses wieder. Eine Sitzbank aus Marmor zieht sich vom Aussen-in den Innenbereich und wird nur durch eine Glasscheibe getrennt.
Ein heller Holzboden verleiht dem schlicht eingerichteten Masterschlafzimmer Wärme.
Ein heller Holzboden verleiht dem schlicht eingerichteten Masterschlafzimmer Wärme.

Dunkle portugiesische Kalksteine bilden den Boden des Bades und erden den lichtdurchfluteten Raum. Eine Milchglasscheibe lässt die Sonnenstrahlen hinein, schützt jedoch vor Einblicken.
Dunkle portugiesische Kalksteine bilden den Boden des Bades und erden den lichtdurchfluteten Raum. Eine Milchglasscheibe lässt die Sonnenstrahlen hinein, schützt jedoch vor Einblicken.

Die vier Meter hohe Decke im Wohnzimmer lässt den Raum optisch grösser wirken. Im Gegensatz zu den restlichen Räumen dominieren hier keine Fenster, sodass dieser Bereich zum Rückzugsort wird.
Die vier Meter hohe Decke im Wohnzimmer lässt den Raum optisch grösser wirken. Im Gegensatz zu den restlichen Räumen dominieren hier keine Fenster, sodass dieser Bereich zum Rückzugsort wird.

Reduzierter Einrichtungsstil

Im Innern der Villa dominieren dezente Farben und eine schlichte Einrichtung. «Je mehr an einem Kunstwerk gearbeitet wird, desto mehr verliert es seine Schönheit. Deshalb wollte ich ein cleanes Haus, das einem weissen Blatt Papier gleicht», erklärt der Bauherr. Natürliches Licht erfüllt jeden Raum des 300 Quadratmeter grossen Einfamilienhauses. Weisse Wände und eine vier Meter hohe Decke lassen den Grundriss noch grosszügiger wirken und unterstreichen die offene Persönlichkeit der Bauherrschaft. Graue portugiesische Marmorplatten am Eingang bilden eine Passage, die an deren Ende nahtlos in einen hellen Holzboden übergeht, der sich durch fast alle Räume zieht. Eine grosse, offene Küche mit Holzfronten aus Eiche, einer Arbeitsfläche aus Marmor und Blick auf den Garten grenzt an das gemütliche Esszimmer, das eine Hommage an die Architekten ist, die einst in der Siedlung wohnten. Der Esstisch wurde von Borge Mogensen designt, die ikonischen Stühle stammen aus der Feder von Hans J. Wegner. Die zwei dezenten Pendelleuchten des Designers Poul Henningsen über dem Esstisch lassen die überdurchschnittliche Raumhöhe zur Geltung kommen. Die Inneneinrichtung würdigt die heimischen Designer, die einmal hier lebten. Direkt daneben befindet sich das Wohnzimmer, das, vor Blicken geschützt, in einer Ecke angeordnet ist, die nicht von Glasscheiben dominiert wird. Hinter einer Schiebetür liegt das Masterschlafzimmer, das in Weiss-und Naturtönen gehalten ist. Die beiden Bäder gleichen einer Wellnessoase im Dschungel. Dunkle portugiesische Kalksteine bilden den Boden und erden den sonst lichtdurchfluteten Raum. Ein grosser Spiegel erstreckt sich über die ganze Länge des Badezimmers – darunter befindet sich der in die Wand eingebaute Wasserhahn. Das Milchglasfenster verhindert Einblicke, lässt jedoch die grünen Gartenpflanzen hindurchschimmern. Neben einem Gästezimmer befindet sich auch ein Arbeitszimmer auf derselben Etage. «Der Stil im Haus ist fast schon meditativ. Nur ein paar wenige klassische skandinavische Designstücke und zeitgemässe Kunst treffen auf viel Weiss. Wir mögen die Ruhe der Natur und wollten, dass sich das in unserem Zuhause widerspiegelt», so die Bauherrschaft. Um Dynamik in die minimalistische Einrichtung zu bringen, wurden mehrere Nischen in die Wände eingebaut. Manchmal dienen sie als Platz für Kunstwerke, manchmal, mit Kissen ausgelegt, als Ort der Entspannung. Im Untergeschoss ergänzen ein Technikraum sowie ein Hauswirtschafts-und Vorratsraum den Grundriss. «Ermelunden» ist das geworden, was die Bauherrschaft sich gewünscht hat: ein Zuhause, das eins mit der Natur wird.

Das Einfamilienhaus steht auf einem leicht abfallenden Grundstück, auf dem die vorherige Besitzerin den Nachbarskindern das Skifahren gelehrt hat.
Das Einfamilienhaus steht auf einem leicht abfallenden Grundstück, auf dem die vorherige Besitzerin den Nachbarskindern das Skifahren gelehrt hat.
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