« Gärten sind Orte, um Utopien zu wagen »
Ein Interview mit Hansueli Kobel, der an der Giardina 2024 mit dem Gold Award ausgezeichnet wurde.
Hansueli Kobel, Sie wurden an der Giardina 2024 mit dem Gold Award für Ihren «Lost Garden» ausgezeichnet. Was denken Sie, was hat überzeugt?
Uns ist es gelungen, ein kraftvolles, berührendes, poetisches Garten- und Landschaftsbild zu inszenieren, welches unzählige Menschen emotional berührt und begeistert hat.
Was hatte Ihr Projekt, was die anderen vielleicht nicht hatten?
Die gebrauchten, alten Materialien – allesamt Fundstücke – prägten die Erscheinung des «Lost Garden». Die grossen, teils mächtigen, von Moos bewachsenen Findlinge, die Mauersteine, die Granitsäulen und die geretteten Bäume verliehen dem Garten einen einzigartigen Charakter. Die Besucherinnen und Besucher wähnten sich weit draussen in der Natur.
Immer mehr Bauherren und Bauherrinnen wünschen sich ein Haus, bei dem die Grenzen zwischen Innen- und Aussenräumen verschmelzen. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Viele Menschen schätzen die ästhetische Anziehungskraft offener Grundrisse und fliessender Übergänge zwischen den Innen- und Aussenbereichen. Durch die Erweiterung des verfügbaren Wohnraumes kann der Wohnkomfort deutlich erhöht werden. Die Möglichkeit, Zeit im Freien zu verbringen, wird für viele immer wichtiger und hat einen wesentlichen Einfluss auf die körperliche und geistige Gesundheit. Gefühle von Freiheit wie auch eine engere Verbindung zur Natur können so intensiver erlebt werden.
Wie kann diese am besten umgesetzt werden?
Zuallererst ist es wichtig, im Planungsprozess einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, welcher die Verbindung zwischen den Innen- und Aussenbereichen ermöglicht. Durch die Verwendung von Materialien und Oberflächen, die sich sowohl drinnen als auch draussen wiederholen, wird eine visuelle Kontinuität geschaffen. Dies kann dazu beitragen, die Grenzen zwischen den Bereichen zu verwischen und ein zusammenhängendes Raumgefühl zu erzeugen. Durch die Integration von Terrassen oder Innenhöfen in den Wohnraum wird es möglich, den Garten und die Natur zu geniessen, ohne das Haus verlassen zu müssen. Gleichzeitig wird ein zusätzlicher Wohnraum im Freien geschaffen. Entscheidend für ein gelingendes Konzept ist eine möglichst natürliche Gartengestaltung mit Bäumen, Gehölzen, Stauden, Gräsern, lebendigem Wasser und vielfältigen geschützten Aufenthaltsmöglichkeiten.
Wie finden Privatpersonen ihren individuellen Gartenstil?
Gärten können viel über die Menschen enthüllen, die sie gestalten und pflegen. Es sind Orte, an denen sich Kreativität, Pflege und Persönlichkeit manifestieren. Die Suche nach dem eigenen, persönlichen Gartenstil kann eine spannende Reise sein. Inspiration und Gestaltungsideen können auf Reisen, im Gespräch mit Freunden, in Gartenmagazinen, Büchern oder auch auf Plattformen wie Pinterest gesammelt werden.
Was macht einen guten Garten aus?
Gärten sind nie ausschliesslich der Nützlichkeit, sondern immer auch der Schönheit verpflichtet, für viele Menschen sind sie das persönliche Paradies. Ein Garten kann viele verschiedene Merkmale haben, abhängig von den Vorlieben des Gärtners, der Gärtnerin und der beabsichtigten Nutzung des Gartens. Ein gelungener Garten erfüllt auch die Bedürfnisse der Menschen, die ihn nutzen. Dies kann bedeuten, dass es Bereiche zum Entspannen, Essen im Freien, Gärtnern oder Spielen gibt. Genauso wichtig ist das Schaffen und Zulassen einer Vielfalt von Lebensräumen für Tiere, Vögel, Insekten, Glühwürmchen, Bienen, Spinnen, Kröten, Käfer, Eidechsen oder Igel.
Welche Tabus gibt es für Sie bei der Gartengestaltung?
Etwas vom Wichtigsten und für viele jedoch schwierig ist, im Garten eine gewisse Unordnung zuzulassen. Trauen Sie sich, lassen Sie einen Teil des Gartens etwas wilder und unordentlicher, um natürliche Lebensräume für die Tiere zu schaffen. Je artenreicher ein Garten, desto wertvoller für die unzähligen Bewohner. Totholz, Laubhaufen und ungemähte Ecken, Nischen, Kleinstrukturen, Natursteinmauern, Wasserstellen bieten Verstecke und Brutplätze für viele Arten. Den eigenen Garten kann man in einen blühenden Lebensraum für eine Vielzahl von Lebewesen verwandeln und damit zur Förderung der biologischen Vielfalt beitragen.
Wenn Sie Bauherren/-herrinnen einen Tipp für die Gartenplanung geben könnten, welcher wäre das?
Einen Garten planen und bauen zu können ist spannend, bereitet sehr viel Freude und ist ein grosses Privileg. Dabei ist die Planung genauso wichtig wie die spätere Pflege des Gartens. Schon während der Planungsphase sollte man sich Gedanken darüber machen. Denn ein Garten benötigt Zeit, um sich zu entwickeln und seine volle Schönheit entfalten zu können. Die Pflege des Gartens ist daher ein entscheidender Beitrag für eine gelungene Gestaltung.
Wo beginnt man am besten, wenn man sich einen Traumgarten verwirklichen möchte?
Die Berücksichtigung der Gegebenheiten wie Exposition, Sonnenlicht, Bodentyp, Klima sollte immer am Anfang einer Gartenplanung stehen. Ebenso wichtig ist das Beobachten und Verstehen der Nachbarschaft, der Geschichte des Ortes. Erfahrene Gärtnerinnen oder Landschaftsarchitekten können bei der Entwicklung des persönlichen Gartenstils helfen und unterstützen.
Was sind die weiteren Schritte?
Die Konzentration auf wenige Themen ist der Schlüssel für eine gelungene Gartengestaltung, dadurch kann eine zusammenhängende und ansprechende Atmosphäre geschaffen werden, die ästhetisch überzeugt. Schöne Gärten und Terrassen bestechen durch eine oder zwei Ideen. Wichtig ist die Reduktion auf das Wesentliche. Je klarer die Grundgestaltung, desto besser wirken später die ungeplanten Formen der Natur.
Welche Gartentrends bringt das Jahr 2024 mit sich?
Naturnah gestaltete und gepflegte Gärten, das natürliche Gärtnern, diese Trends werden 2024 noch verstärkt. Die Verwendung von insektenfreundlichen Stauden und Gehölzen, die Förderung der Artenvielfalt, die Selbstversorgung aus dem eigenen Gemüsegarten. Der Garten als Wellnessoase. Wasser ist das Element, welches massgeblich zum Wohlbefinden wie auch zur Biodiversität eines Gartens beiträgt.
Wie kann man mit Pflanzen eine Atmosphäre schaffen?
Das Wichtigste in jedem Garten sind die Pflanzen. Bäume, Gehölze, Stauden und Gräser prägen den Charakter eines jeden Gartens. Mit ausgewählten und richtig platzierten mehrstämmigen, aufgeschnittenen Solitärgehölzen können Gartenräume mit einer einzigartigen Atmosphäre geschaffen werden.
Welche Materialien eignen sich sonst am besten in einem Garten?
Neben den Pflanzen sind es die Natursteine, welche die Wertigkeit der Gärten prägen. Natursteine können als Trockenmauern, als Bodenbeläge oder als kraftvolle, ausdrucksstarke Solitärsteine Verwendung finden.
Wie verändert der Klimawandel die Gärten bzw. die Planung?
Der Klimawandel wird die Pflanzungen in den Hausgärten in Zukunft noch stärker beeinflussen, als das bisher schon der Fall war. Ein wichtiges Kriterium ist die Trockenheitsverträglichkeit der Bäume und Gehölze. Die Mischung aus geeigneten traditionellen Gartenpflanzen mit robusten Arten und Sorten aus den verschiedensten Regionen dieser Erde ergibt eine Vielfalt im Garten, die optisch, aber auch ökologisch überzeugen kann.
Ihre Vision: Wohin wird sich die Gartengestaltung in Zukunft entwickeln?
Private und öffentliche Gärten, Parkanlagen, grüne Freiräume werden für viele Menschen noch mehr an Bedeutung gewinnen. Die Sehnsucht nach einem lebendigen, natürlichen und geborgenen Umfeld wird noch stärker in den Vordergrund rücken. Gärten sind ideale Orte, um Utopien zu wagen und Wirklichkeit werden zu lassen. In allen Weltkulturen haben sich unsere Vorfahren das menschliche Glück als ein harmonisches Leben in einem Gartenparadies vorgestellt.