Nachgefragt

Darf man für Bauten auf dem eigenen Grundstück die Nach- barparzelle beanspruchen?

Questioned Can you claim the neighboring lot for buildings on your own property?

Eine gute Bekannte ruft mich aufgeregt an. Ihr Nachbar baut. Sein Unternehmer hat zahlreiche Erdanker mehrere Meter tief in das Grundstück meiner Bekannten eingebohrt, wie sie gerade festgestellt hat, und zwar ohne vorgängig um Erlaubnis zu fragen. Der Nachbar ist zu allem Übel Bauanwalt. Meine Bekannte ist entsetzt. Darf er das? Falls ja: Unter welchen Voraussetzungen? Falls nein: Was sind die Konsequenzen?

Im kantonalen Recht unterschiedlich geregelt

Immer wieder kommt es vor, dass Bauen auf dem eigenen Grundstück nur möglich ist, wenn die Nachbarparzelle betreten oder sogar weitergehend in Anspruch genommen werden darf. Wenn die Bauherrschaft ihr Untergeschoss bis knapp an die Grundstücksgrenze stellen will, was je nach den öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zulässig sein kann, ist das nur möglich, wenn auf der Nachbarparzelle Abgrabungen gemacht werden, damit die Schalung aufgestellt und betoniert werden kann. In städtischen Verhältnissen kann es sogar vorkommen, dass das Fundament des Gebäudes auf dem Nachbargrundstück unterfangen werden muss, damit auf dem Baugrundstück Abgrabungen gemacht werden können, die tiefer reichen als das Fundament des Nachbargebäudes.

Die meisten Kantone kennen eine bedingte Verpflichtung des Grundeigentümers, seine Parzelle für Bauarbeiten auf dem angrenzenden Grundstück zur Verfügung zu stellen. Es handelt sich um das sogenannte Hammerschlagsrecht oder Leiterrecht. So regelt etwa der Kanton Bern in Art. 79o Einführungsgesetz zum ZGB (EG ZGB): «Der Nachbar hat das Betreten oder die vorübergehende Benützung seines Grundstückes zu gestatten, wenn dies erforderlich ist für die Errichtung oder den Unterhalt von Bauten, Strassen, Pflanzungen längs der Grenze oder von sonstigen Anlagen wie Leitungen. Er ist rechtzeitig zu benachrichtigen und hat Anspruch auf möglichste Schonung und vollen Schadenersatz.»

Darüber, wann die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks «erforderlich» ist, wie weit dieser Anspruch reicht und wie hoch die Entschädigung dafür sein soll, gehen die Meinungen naturgemäss auseinander. Das Baurekursgericht des Kantons Zürich umschrieb den Umfang dieses Rechts mit Blick auf die historische Entstehung in einem kürzlich ergangenen Urteil wie folgt sehr schön: Das Hammerschlagsrecht, auch Leiterrecht genannt, «wird in Anspruch genommen, wenn an der Aussenwand des eigenen Hauses, welches an der Grenze zum Nachbargrundstück steht, eine Reparatur vorzunehmen und dazu eine Leiter anzustellen ist, um darauf stehend einen Nagel einzuschlagen».

Baupiste über mehrere Grundstücke zulässig?

Im fraglichen Entscheid untersagte das Baurekursgericht einem Bauherrn die Benützung eines fremden Grundstücks für eine Baupiste. Ausschlaggebend war, dass die fragliche Parzelle dem Baugrundstück nicht unmittelbar benachbart war und ein Zugang zum Baugrundstück anderweitig (wenn auch mit grösserem Aufwand) möglich war. Das Kantonsgericht Wallis hatte demgegenüber in einem früheren Entscheid die Benützung mehrerer benachbarter Grundstücke für eine Baupiste, gestützt auf das Hammerschlagsrecht, bewilligt.

Unklar, ob das Hammerschlagsrecht Abgrabungen zulässt

Während das Hammerschlagsrecht in den meisten Kantonen im Zivilrecht geregelt ist, finden sich die einschlägigen Bestimmungen im Kanton Zürich im öffentlich-rechtlichen Planungsund Baugesetz (PBG). Das PBG weist die Zuständigkeit zum Entscheid über die Inanspruchnahme von Nachbargrundstücken der kommunalen Baubehörde zu. Das Baurekursgericht fungiert als Rechtsmittelinstanz gegenüber Entscheiden der Baubehörde zum Hammerschlagsrecht.

Zur Frage, ob sich auf das Hammerschlagsrecht auch Eingriffe in die Substanz des Nachbargrundstücks stützen lassen, gehen die Auffassungen auseinander. Das Bundesgericht lässt Abgrabungen im Nachbargrundstück gemäss einem älteren Entscheid nicht zu. Das Baurekursgericht des Kantons Zürich hingegen hält diese Auffassung für zu restriktiv. Es bezeichnete Abgrabungen zur Freilegung des Bauplatzes für den Bau einer Grenzfassade mit einer Spundwand als typischen Anwendungsfall des Hammerschlagsrechts.

Vorsicht bei «provisorischen» Ankern

Vielfach ist im Zusammenhang mit Baugrubensicherungen von «provisorischen» Ankern die Rede. Bei diesem Begriff ist jedoch Vorsicht geboten. Wenn eine Baugrubensicherung mit Ankern in der Nachbarparzelle rückverankert wird, ist es praktisch ausgeschlossen, dass die Anker nach Abschluss der Bauarbeiten wieder ausgebaut werden. Sie lassen sich oft nur entspannen, während die Zugglieder und die Verpresskörper (die sog. Ankerzwiebel) im Nachbargrundstück verbleiben. Diese können bei späteren Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück zwar entfernt werden, ohne dass an den damit (temporär) gesicherten Bauten Schäden entstehen. Wenn aber Teile von Ankern im Nachbargrundstück verbleiben, fehlt es am Merkmal der vorübergehenden Inanspruchnahme, womit sich diese grundsätzlich nicht auf das Hammerschlagsrecht stützen lässt.

Das Einbringen von Erdankern in ein fremdes Grundstück ohne Zustimmung des Eigentümers ist eine klare Eigentumsverletzung. Sofern sich die Parteien nicht über eine vertragliche und finanzielle Regelung einigen, könnte meine Bekannte gerichtlich den Rückbau und damit die Behebung der Eigentumsverletzung verlangen. Verhältnismässigkeitsfragen stellen sich dabei gemäss einem Urteil des Bundesgerichts nicht. Für eine gute Nachbarschaft sind derartige Vorkommnisse auf jeden Fall nicht förderlich. <<

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