Nachgefragt: Kann ein Kinderspielplatz zum Lärmproblem werden?
Immer wieder müssen sich Gerichte mit dem Lärm von Kinderspielplätzen auseinandersetzen. Kinderlärm gilt als Alltagslärm, vergleichbar zum Beispiel mit dem Lärm eines Aussenrestaurants, und fällt rechtlich unter das Umweltschutzgesetz (USG) und die Lärmschutzverordnung (LSV). Kinderspielplätze sind ortsfeste Anlagen im Sinne von Art. 7 Abs. 2 USG.
Keine Grenzwerte für Kinderlärm
Die rechtliche Beurteilung von Alltagslärm hat ihre Tücken. Das Umweltschutzgesetz regelt nämlich nicht, ab welchem Ausmass Alltagslärm im Allgemeinen und der Lärm von Kinderspielplätzen im Besonderen störend und deshalb einzuschränken sind. Dennoch: Die Gerichte beweisen bei derartigen Entscheiden in der Regel das notwendige Fingerspitzengefühl.
Im Gegensatz zu Strassenverkehrslärm, Eisenbahnlärm oder Lärm von Industrieanlagen legt die Lärmschutzverordnung für Alltagslärm keine Grenzwerte fest. Deshalb müssen die Gerichte den Lärm im Einzelfall nach den Kriterien von Art. 15 USG beurteilen. Nach Art. 15 USG sind die Immissionsgrenzwerte für Lärm so festzulegen, dass nach dem Stand der Wissenschaft oder der Erfahrung Immissionen unterhalb dieser Werte die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden nicht erheblich stören.
In Wohnzonen sind nur geringfügige Störungen zulässig
Im Rahmen dieser Einzelfallbeurteilung sind der Charakter des Lärms, der Zeitpunkt und die Häufigkeit seines Auftretens sowie die Lärmempfindlichkeit beziehungsweise die Lärmvorbelastung zu berücksichtigen. Dabei darf das Gericht nicht auf das subjektive Lärmempfinden einzelner Personen abstellen, sondern es hat eine objektivierte Betrachtung unter Berücksichtigung von Personen mit erhöhter Empfindlichkeit (Art. 13 Abs. 2 USG) vorzunehmen. Während der Nachtphase sind strengere Anforderungen an das Immis sionsniveau zu stellen. Bei Lärmarten, für die vom Bundesrat keine Grenzwerte festgelegt worden sind, ist die kommunale Polizeiverordnung beizuziehen.
Massgeblich für die Beurteilung des Lärms ist der jeweilige Immissionsort, also der Ort, an dem der Lärm wahrgenommen wird. Anlagen ohne Belastungsgrenzwerte, deren Lärmimmissionen sich auf Wohnzonen der Lärmempfindlichkeitsstufe II auswirken, müssen nach der Rechtsprechung ein Immissionsniveau einhalten, bei dem höchstens geringfügige Störungen auftreten (BGE 123 II 325). Lärm von öffentlichen und von privaten Kinderspielplätzen wird dabei grundsätzlich gleich behandelt.
Wann darf eine Lärmprognose verlangt werden?
Gerade bei grösseren Wohnüberbauungen ist die Situierung des Kinderspielplatzes oft Anlass zum Missfallen der Nachbarn, die sich gelegentlich auch mit Rechtsmitteln gegen Kinderspielplätze wehren. Dabei beginnt der Streit unter Umständen schon bei der Frage, ob die Baubehörde vom Baugesuchsteller für den zu erwartenden Lärm eine Lärmprognose verlangen darf oder muss.
Die Baubehörde ist verpflichtet, den Lärm einer ortsfesten Anlage anhand einer Lärmprognose zu ermitteln, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass die Belastungsgrenzwerte überschritten sind oder ihre Überschreitung zu erwarten ist (Art. 36 Abs. 1 LSV). Die Beurteilung der Frage, ob übermässige Lärmimmissionen anzunehmen oder zu erwarten sind, verlangt eine vorweggenommene Würdigung der Lärmsituation, bei welcher der zuständigen Behörde ein gewisser Ermessensspielraum zusteht. Es ist nicht ausgeschlossen, wenn auch eher unwahrscheinlich, dass bei einem grösseren Spielplatz ein Lärmgutachten verlangt wird. Bei Kinderspielplätzen, die zu einem Einfamilienhaus gehören, ist hingegen von einem umweltrechtlichen Bagatellfall auszugehen.
Es wäre weltfremd, den Kindern beim Spielen das Lärmen zu verbieten
Immer wieder muss sich auch das Bundesgericht mit dem Lärm von spielenden Kindern befassen. Die bündnerische Gemeinde Rueun wollte vor einigen Jahren auf einer gemeindeeigenen Parzelle einen Begegnungsund Kinderspielplatz realisieren. Ein Ehepaar sträubte sich durch alle Instanzen dagegen und gelangte schliesslich mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht. Umstritten war in diesem Fall unter anderem, ob die Baubehörde eine Lärmprognose hätte einholen müssen. Das Bundesgericht verneinte das (BGer 1A.241/2004 vom 7. März 2005).
Nach dem Vorsorgeprinzip ist unnötiger Lärm unzulässig, wenn Massnahmen zur Immissionsbegrenzung technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar sind (Art. 11 USG). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist das allerdings nicht so zu verstehen, dass jeder im strengen Sinne nicht nötige Lärm völlig untersagt werden müsste. Der von Kinderspielplätzen ausgehende Lärm ist streng genommen nicht nötig, um spielen zu können. Indessen ist das Spielen von Kindern nach der allgemeinen Lebenserfahrung mit Geräuschen verbunden; diese völlig zu untersagen, wäre praktisch gleichbedeutend mit einem Verbot des Spielens im Freien. Das wäre nach zutreffender Auffassung des Bundesgerichts eine welt-und lebensfremde Konsequenz, die nicht im Sinne des Umweltschutzgesetzes liegen kann.
Lärm von Kindern in einer Wohnzone ist sozialadäquat
In einem weiteren Urteil, in dem es unter anderem um den Lärm von spielenden Kindern einer Tagesstätte ging, hielt das Bundesgericht fest: Da Kinder in einer Wohnzone die Möglichkeit haben sollen, im Freien zu spielen, passe dieser Lärm in eine Wohnzone. Er gehöre zur üblichen Geräuschkulisse und werde von der Bevölkerung auch in einer ruhigen Wohnzone mehrheitlich als ortsüblich akzeptiert und nicht als störend empfunden. Der Lärm spielender Kinder hat deshalb grundsätzlich als sozialadäquat zu gelten und muss in einer Wohnzone hingenommen werden (BGer 1C_148/2010 vom 6. September 2010).
Ob der Lärm spielender Kinder als Belästigung oder als Bereicherung empfunden wird, hängt sehr stark vom subjektiven Empfinden ab. Gerade darauf ist jedoch gemäss konstanter Rechtsprechung keine Rücksicht zu nehmen. Fest steht, dass es von allen Seiten Rücksichtnahme und Toleranz braucht, damit das Ruhebedürfnis von Erwachsenen und das Spielbedürfnis von Kindern unter einen Hut gebracht werden können.